Nachtwanderin
  Kurzgeschichten
 

DER BLAUBEERENSTRAUCH

Auf einer Farm standen drei Kühe. Eine war schwarz, eine  weiß und eine braun.
Warum sehen wir alle so verschieden aus? Fragten sie sich eines Tages. Wir sind doch Geschwister. Sie überlegten, was sie tun könnten.
"Ich hab eine Idee" sagte die weiße Kuh. "Wir müssen alle das Gleiche essen, dann sehen wir auch gleich aus."
"Ja", stimmten die anderen Beiden zu. "Aber, was könnten wir  essen?" fragte sie weiter. " Gras - dann sehen wir alle grün aus, die Blumen auf der Wiese - dann sind wir alle bunt gescheckt, oder aber die Blaubeeren da vorn am Strauch."
"Oh ja" rief die braune Kuh begeister. "Ich wollte schon immer mal blau aussehen."
So stapften sie gemeinsam los und machten sich über die Blaubeeren her. Diese waren schon überreif und leicht alkoholisiert. Nach einer Weile kam der Bauer. Er wunderte sich, dass seine Kühe so seltsam liefen. Manchmal stolperten sie und fielen hin.
"Warum schaut uns der Bauer so komisch an?" fragte die weiße Kuh.
Die schwarze Kuh kicherte. "Sicher, weil wir jetzt alle drei blau sind. "

(Kerstin Magirius, 04.09.2010)

ELSA UND DIE GÄNSEFEDER

Wenn Hilflosigkeit einen Namen hätte, dann hieße sie Krankheit, Armut, Alter oder aber Benno, Benno der Einfältige. So nannten ihn alle im Dorf. Die Kinder warfen mit Steinen nach ihm, lachten ihn aus und hatten ihren Spaß mit dem alten Mann. Benno wollte kein Spielverderber sein. Er lachte mit, auch wenn die Steine weh taten. Benno lachte immer. Nur einmal hat er geweint - damals, als seine Gans Elsa starb. Da schwor er sich, jeden Tag eine Gänsefeder in den Fluss zu werfen, damit der Fluss sie zu  Elsa trägt. Sie sollte nicht denken, er hätte sie vergessen.
Das mit der Gänsefeder war nicht so einfach. Es gab nur einen Bauern im Ort, der Gänse hatte. Und der hatte einen bissigen Hund. Der Bauer war geizig, er gab dem Benno keine Gänsefeder. Also musste Benno sie sich holen. Dazu lies er sich etwas ganz besonderes einfallen.  Er schmierte sich jede Nacht von oben bis unten mit Pferdemist ein und konnte sich so unbemerkt am Hund vorbei schleichen.
Nie brauchte er den Gänsestall zu öffnen, weil auf der Wiese schon eine Feder lag.
Diese hob er vorsichtig auf, ging mit ihr  zum Fluss, schloss die Augen und warf sie im Gedanken an seine Elsa hinein. Aber , die Feder war zu leicht, so trug sie der Wind mit sich fort. Und da der Wind an dieser Stelle immer aus südosten bläst, trug er sie zurück auf die Wiese vom Bauern, wo Benno sie hergeholt hatte. Das ging viele Jahre so. Inzwischen war der Bauer tod, der Hund und die Gänse waren auch nicht mehr - aber davon ahnte Benno nichts. Er trug immer die gleiche Feder zum Fluss - jede Nacht - und der Wind konnte es nicht erwarten, sie wieder zurückzutragen. Benno war glücklich dabei, der Wind auch - nur die Leute im Dorf schüttelten den Kopf über den verrückten, alten Mann. Aber, sie kannten ja auch nicht die Geschichte von Elsa und der Gänsefeder...


(Kerstin Magirius, 09.12.2011)

DIE FELDMAUS

Eine Feldmaus ging ihre Großmutter besuchen, die wohnte in Feldhaus. Und weil der Weg über die Felder so weit war, beschloss die Feldmaus den Waldweg zu nehmen. Der war um die Hälfte kürzer. Sie eilte sich, weil es schon dunkel wurde. Sie kam an eine große Holzbrücke.  Die Feldmaus mochte keine Brücken, weil sie Höhenangst hatte. Also schloss sie die Augen und tippelte vorsichtig los. Der Brücke fehlte eine Latte. Da die Feldmaus nichts sah,  fiel sie durch den Spalt in die Tiefe, wo eine Feldlaus gerade ihre Zähne putzte. Die Feldmaus fiel auf die Feldlaus. Die Feldlaus brauchte sich keine Zähne mehr zu putzen und die Feldmaus verspürte keine Lust mehr, zu ihrer Großmutter zu gehen. Vor ihr lag die zerquetschte Feldlaus mit der Zahnbürste im Mund und die Feldmaus schwor sich, nie mehr mit geschlossenen Augen über eine Brücke zu gehen. Diese Zahnbürste hätte ihr Tod sein können....

(Kerstin Magirius, 11. November 2012)

SOWAS KOMMT VON SOWAS

Ein Löffel lag einsam auf dem Tisch. Es gesellte sich eine Taube hinzu. Sie pickte an ihm herum, dass es nur so kitzelte. Der Löffel fing laut an zu lachen, worauf die Tischdecke ihre Stirn in Falten zog. Ein Kind sah die Taube, es opferte ein Stück von seinem Brötchen und warf es auf den Tisch. Die Taube dankte es mit einem Flügelschlag, worauf das Kind das ganze Brötchen auf den Tisch warf. Das Brötchen landete auf dem Löffel, welcher in hohem Bogen an den Kopf der Taube flog. Die Taube verlor das Bewusstsein, sie kippte um und fiel mit dem Löffel vom Tisch. Da sie sich mit den Krallen in der Tischdecke verfangen hatte, riss sie Diese auch mit auf die schmutzige, vom Regen aufgeweichte Erde. Das Kind stand starr vor Schreck, die Tischdecke fiel auf den Löffel und auf die Taube. Ein Kellner eilte hinzu, hob die Tischdecke auf, mit der Taube dran, die immer noch regungslos war. Der Kellner wollte die Tischdecke mit der Taube zusammen in den Müll schmeißen, doch auf dem Weg dorthin rutschte er aus und fiel in den Dreck. Die Taube erwachte von dem Aufprall, sie schlug erschrocken mit den Flügeln, erhob sich so von der Erde immer höher und höher, an den Krallen noch immer die Tischdecke. Das Kind sah die Taube mit der Tischdecke davonfliegen. Der Vater schimpfte das Kind, das regungslos da stand und Löcher in die Luft starrte, der Kellner schimpfte auf die Taube und auf die Tischdecke, der Gastwirt schimpfte auf den Kellner, der über und über mit Dreck beschmutzt war....doch niemand schimpfte auf den Löffel. Der lag einsam in einer Pfütze, bis eine Elster kam. Sie war angetan von dem Löffel. Sie hob ihn auf und trug ihn im Schnabel ausgerechnet dorthin, wo auch die Taube saß mit der Tischdecke. Die Tischdecke zog die Stirn kraus, als sie den Löffel sah, die Taube gab gurrende Drohlaute von sich, dass die Elster erschrak und den Löffel fallen lies. Der Löffel fiel auf die Taube, die Taube verlor das Bewusstsein. Sie fiel mit der Tischdecke vom Baum direkt in den Kochtopf einer alten Magd. Die freute sich über die Tischdecke und über die Taube...und über den Löffel, der dicht hinterher folgte. So waren alle drei wieder vereint. Was die Magd mit ihnen anstellte? Auf jeden Fall aß sie mit dem Löffel später die Taube, welche als Beilage in einer Suppe schwamm und der Teller mit der Suppe stand auf der Tischdecke. Das Kind nahm sein Brötchen wieder an sich und warf es bei der nächst besten Gelegenheit in den Teich, wo es einen Hai erschlug. Aber, das ist eine andere Geschichte....

(Kerstin Magirius, 19. November 2012)

VERLEGT

"Ich werde verlegt", sagt mein Freund.
"Wohin denn?", frage ich.
"Fällt mir gerade nicht ein", dabei scharrt er mit den Schuhen auf den Dielen rum. Das macht er immer, wenn er verlegen ist.
"Sie sitzt in Amerika, meine Verlegerin....unbekannt noch - aber, ich werde wenigstens verlegt." Seine Betonung auf wenigstens wird vom lauten Gong der Wanduhr verschluckt. Es ist Ein Uhr. Ich halte mich an der leeren Kaffeetasse fest. "Das kannst du auch einfacher haben, das mit dem Verlegen", sage ich. 
"Wie meinst du das, Grete?" fragt er und scharrt noch lauter mit den Schuhen.
"Na schau, Walter. Ich habe neulich meine Brille gesucht. Glaubst du, ich habe sie wiedergefunden? Ich bin die beste Verlegerin, die du dir vorstellen kannst. Denkst du im Ernst, ich fahre erst nach Amerika, um dich wiederzufinden?"
Und kopfschüttelnd, an ihm vorbeigehend...
"Wie kann man sich nur verlegen lassen?!"

Mein Freund sitzt da, merklich still, die Stirn in Falten gelegt. Plötzlich schreckt er auf. 
"Schatz", rufe ich aus der Diele. "Hast du meine Schlüssel gesehen?"

Nie wieder hat er seitdem mit mir über das Thema Verlegen gesprochen. Dabei scharrt er immer noch mit den Schuhen auf den Dielen rum...


(Kerstin Magirius, 26. Februar 2014)

BETRACHTUNG

"Nicht mehr lang, dann ist Heute vorbei.
Morgen geh ich mir Schuhe kaufen
für Übermorgen
weil bald der Winter kommt.",
sagt sie zu ihrem Mann,
der sich den Kopf kratzt
und barfuß über die Dielen läuft.

Die Zeitung auf dem Tisch ist von 
Gestern
und die Uhr ist schon lange stehen geblieben...

(Kerstin Magirius, 05.10.2014)

 
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